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Scientologys Weg in Berlins Chefetagen



Die Scientologen haben die Berliner Wirtschaft entdeckt: Die Organisation unterwandert Firmen – und verbreitet ihre Ideologie. Und das mit guten Manieren.

Fast immer ist es eine angenehme Begegnung: Denn sie sind verbindlich und treffen den richtigen Ton, so dass in den Gesprächen schnell eine persönliche Beziehung entsteht. Darauf haben es diese Art von Unternehmensberater abgesehen, wenn sie einen Firmenchef einweisen. Sie versprechen, dass die Kommunikation verbessert wird und der Chef seine Mitarbeiter besser anleiten kann. Was sie nicht verraten: Hier hat man es mit den Psychotechniken der Scientologen zu tun. Und wenn ein Firmenchef es später erfährt, dann will er es oft nicht glauben. Er spricht dann schon die Sprache und denkt in den Mustern von Scientology. Unternehmens- und Personalberatungen, Makler und Immobiliengutachter, Zeitarbeit – diese Branchen bevorzugen die Scientologen. Und die Anhänger der parareligiösen Organisation haben die Berliner Wirtschaft entdeckt. Das haben Aussteiger der Psychosekte der Hamburger „Arbeitsgruppe Scientology“ verraten. Insbesondere Makler, Hausverwalter und Bauträger zögen der Scientology-Bundeszentrale hinterher in die Hauptstadt.

Von einer „Gefährdung von Unternehmen, die im Einzelfall existenzbedrohend werden kann“, spricht ein Mitglied vom Fachausschuss „so genannte Psychosekten und Konzerne“, den die Berliner Industrie- und Handelskammer unterstützt. Dennoch wurde bei der IHK ein Scientologe wiederholt öffentlich bestellt und vereidigt. Der Mann ist zugleich Mitglied des Berliner Ablegers des Immobilienverbandes Deutschland (IVD). Dabei will man die Scientologen auch dort eigentlich außen vor lassen. Dirk Wohltorf vom Berliner IVD spricht nicht gerne darüber. Er nennt auch keinen Namen. Denn Wohltorf weiß: „Dann beginnt die Auseinandersetzung mit einem Heer von Rechtsanwälten der Organisation“ – und die Chancen, den Gutachter und Scientologen aus dem Verband auszuschließen, sind gering. Die Organisation gibt sich als Kirche aus, und freie Religionsausübung ist vom Grundgesetz geschützt. Der Scientologe war schon vor der Gründung des neuen IVD Mitglied eines Maklerringes, der mit dem IVD verschmolzen wurde. So wurde er automatisch Mitglied. Bei der IHK heißt es: „Wir haben versucht, die öffentliche Bestellung des Scientologen zum Gutachter zu widerrufen, doch es gab keine juristische Handhabe.“

Der IVD hat seit seiner Gründung eine Aufnahmeklausel, wonach sich Bewerber während der umfangreichen Aufnahmeprüfungen auch verpflichten, nicht Scientology-Mitglied zu sein. Deshalb blieb der Scientologe der einzige unter bundesweit 6000 Mitgliedern. Entwarnung gibt es aber nicht: „Seit die Scientology-Zentrale Anfang 2007 nach Berlin zog, gab es drei IVD-Bewerber, die die Scientologen-Klausel nicht unterschreiben wollten“, sagt Wohltorf. Sie mussten draußen bleiben. Dennoch ist Wohltorf alarmiert: „All’ die Jahre vorher kam nicht ein Antrag von Scientologen.“ Bedrohlich ist diese Entwicklung aus Sicht der Gegner deshalb, weil Scientology keine Kirche sei, sondern ein dubioses Wirtschaftsbetrieb. Es gehe darum, möglichst viele Menschen für Seminare und „Auditings“ zu gewinnen. Hollywood-Star Jason Beghe, selbst früher Mitglied der Sekte, nennt das System „Abzocke“. Fast eine Million Euro will er für „Kurse“ bezahlt haben. Firmenchefs sind auch eine zahlungskräftige Klientel.

„Clear“, zu deutsch: „rein“ und befreit von den Irrtümern dieser Welt, das verheißen scientologische Kurse. „Doch meistens sind am Ende nur die Unternehmer von ihren Firmen befreit und von ihren klaren Gedanken“, sagt Ursula Caberta, Leiterin der Scientology-Arbeitsgruppe bei der Hamburger Innenbehörde. Viele hundert Firmen in Deutschland seien unterwandert. Die Organisation besetze die Führungspositionen nach eigenem Gutdünken. Dadurch stelle sie sicher, dass die „Lizenzabgaben“ für „Schulungen und Seminare“ pünktlich ans „World Institute of Scientology Enterprises“ gezahlt werden. Das Scientologische Weltinstitut sei eine Art Konzernholding. Firmen müssten fünf bis 20 Prozent des Umsatzes abführen. Peter Mnich vom Fachausschuss „so genannte Psychosekten und Konzerne“ sieht das ähnlich: „Zwei Ziele verfolgen die Scientologen in der Wirtschaft. Sie wollen Firmen nach scientologischen Prinzipien führen und Kunden für ihre Seminare gewinnen“, sagt er. Abgesehen habe es die Organisation nicht nur auf die Chefs, sondern auch auf Multiplikatoren innerhalb und außerhalb der Firmen. Um herauszufinden, wer wichtig ist, würden Quellen genutzt, wo Informationen zusammenlaufen: die Chefsekretärin etwa oder der IT-Bereich. Auch das firmeneigene Netzwerk verrate viel über Strukturen, Hierarchien, Kommunikationswege – und wie man diese beeinflussen kann.

Dass die Psychotechniken für Unternehmen zerstörerische Wirkungen haben, steht für die Experten fest: „Niemand kann sich mit ganzer Kraft für eine Firma engagieren, wenn er dabei immer an dem Vertrieb der Scientology-Kurse arbeitet“, urteilt Mnich. Und Ursula Caberta sagt über die Ergebnisse der scientologischen Persönlichkeitstests in Firmen: „Da schneiden fast immer die motiviertesten Mitarbeiter schlecht ab, die den Laden durch ihre Eigeninitiative am Laufen halten, aber manchmal auch unbequem sein können“. Denn solche Mitarbeiter seien immun gegen Ideologie. Aber schöpfen die Chef denn nicht Verdacht, wenn ausgerechnet ihre Leistungsträger bei den Tests durchfallen? „Leider selten“, sagt Caberta.
30. April 2008


Quellen:

30. April 2008 Der Tagesspiegel