Frohnau
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Klare Verhältnisse in Frohnau



In Frohnau dürfte der Volksentscheid schon gelaufen sein. 53,6 Prozent sind evangelisch oder katholisch. Ganz anders in Falkenberg: Nur sieben Prozent der Falkenberger sind in der Kirche. Pro Reli ist hier ein Randthema - wenn überhaupt.

Gedämpft hört der Frohnau-Flaneur Kinderlachen aus den nicht sichtbaren rückwärtigen Gärten. Ein Zaun wird mit hartem Wasserstrahl vom Winterschmutz befreit. Frisch gedeckte Dächer blitzen in der Sonne. Den Edelhofdamm entlang läuft ein Aktentaschenträger am frühen Nachmittag Richtung Eigenheim. Er sei Beamter, höherer Dienst, wohne seit 35 Jahren hier, weil es eben grün ist und ruhig und so gut erreichbar. Pro Reli? Na klar, schon wegen des Gebots der Gleichberechtigung. Aber eben auch als Christ.

In Frohnau dürfte der Volksentscheid für einen regulären Religionsunterricht an Berliner Schulen schon entschieden sein. 53,6 Prozent der rund 17 000 Einwohner sind evangelisch oder katholisch, das ist Berliner Rekord und liegt weit über dem Durchschnitt der Berliner Bevölkerung von rund 29 Prozent. Vier Pfarrer kümmern sich um das Seelenheil der Frohnauer, drei evangelische und ein katholischer. Er spüre eine weit höhere Akzeptanz des Christentums in der Gesellschaft als die statistischen 53 Prozent, sagt Pfarrer Mathias Kaiser. In den zwei staatlichen Grundschulen des Ortsteils nähmen 95 Prozent der Kinder am Religionsunterricht teil. In der Evangelischen Schule gehört Religion ohnehin zum normalen Unterricht. 7000 Menschen gehören der evangelischen Gemeinde an, durchschnittlich 200 gehen jeden Sonntag in die Kirche. Jeden zweiten Sonntag wird getauft, es gibt Spezialgottesdienste zur Trauer oder Tauferinnerung, für Kinder und auch für die Allerkleinsten. Eine Frohnauer Erfindung: der Bobbycar-Gottesdienst. Der Kulturkalender ist prall gefüllt. Es gibt fast jedes Wochenende Konzerte, die Kantorei kümmert sich um Kinder- und Jugendchöre. Die Blechbläser sind renommiert. Es gibt eine Singschule und Privatlehrer. Pfarrer Immanuel Abroscheit wagt eine markante Aussage: "Jedes Kind hat in Frohnau seinen eigenen Buddelkasten, seine Schaukel und sein Klavier."

Eine "Insel der Seligen" sei Frohnau, sagt Albroscheit, und er möchte dieses Lob zugleich als Warnung verstanden wissen. Das Inseldasein könne auch zu Arroganz und Dünkel führen, zu einer "Wir sind die Besseren"-Haltung. Bei Jugendlichen bemerke er schon Ansätze dazu. Wenn jemand in Frohnau Graffiti sprüht oder Papierkörbe umwirft, sei allgemeiner Konsens: Der kann nicht von hier sein. Pfarrer Kaiser kennt einen Moslem, Pfarrer Albroscheit "ein paar jüdische Mitbürger", aber im öffentlichen Leben spielen andere Religionen kaum eine Rolle. Ihren einzigen Obdachlosen, Eddy, haben die Frohnauer im vergangenen Herbst an den Tod verloren.

Vor dem Krieg habe man in Frohnau vor allem deutschnational gewählt, erzählt Albroscheit. Jetzt dominiert die CDU mit einem Stimmanteil von 38 Prozent, die FDP erreichte 2006 bei den Wahlen 13 Prozent. Die Infokästen der bürgerlichen Parteien stehen gleich gegenüber dem S-Bahnhof, vor dem Restaurant Pantalone, wo viele ältere Ehepaare auf der Terrasse die Menükarte studieren. Sie lassen sich nur ungern stören. Pro Reli? Ein Herr verzieht leicht die Miene. Nein, dafür habe er jetzt keine Zeit. Die Mütter am italienischen Eiscafe "Dolce Vita" sind offener. "Eine ideale Umgebung für Kinder" sei Frohnau, sagt Silke, die ihre Kindheit hier verbracht hat. Ideal auch wegen der "christlichen Werte", die hier noch gepflegt würden. Silke ist 38, Schulbuchredakteurin und katholisch. Pro Reli liegt ihr am Herzen, aber es ist auch das Gefühl, den Glauben in einer eher atheistischen Umgebung verteidigen zu müssen. "Man hört ja haarsträubende Geschichten." Sie weiß von einer Ethiklehrerin, die einem Kind, das auch den Religionsunterricht besucht, den Reli-Arbeitsbogen verbessert hat: Die Überschrift "Jesus lebt" habe die Lehrerin durchgestrichen und durch "Jesus ist gestorben" ersetzt.

Frohnauer sind gut situiert, die Arbeitslosigkeit liegt unter drei Prozent. Hier wohnen die "Entscheider", weiß Dirk Wohltorf von "Wohltorf Umzug & Immobilie". Frohnau sei inzwischen die einzige Alternative zu den Toplagen im Südwesten, der Bodenrichtwert nähere sich der 300-Euro-Marke, für schöne Villen müsse demnächst mehr als eine Million Euro ausgegeben werden. Es gibt auch eine richtige Dönerbude in Frohnau, nur verhalten sich die Kunden nicht imbissgerecht. Ein Mann verlangt im besten Hochdeutsch nach der Würfelzuckerdose und sagt tatsächlich: "Gestatten Sie …"

Dialog an einer Bushaltestelle weit im Osten: "Schon mal von Pro Reli gehört?" - "Hä?" - "Der Volksentscheid für den Religionsunterricht." - "Erdkunde? Oder wat meen se jetze?" - "Nee, Religion." - "Hatt' ick nich in der Schule."

Das Gespräch holpert noch etwas dahin, führt aber zu keiner wirklichen Verständigung. Die beiden sehr jungen Mütter werden den Volksentscheid mit Sicherheit verpassen. Immerhin haben sie den Bus Richtung Hohenschönhausen erwischt. Ortstermin in Falkenberg, das liegt zwischen Wartenberg und Ahrensfelde, ein kleines Straßendorf, gesäumt von Feldern und Feuchtbiotopen, bekannt vor allem durch das Berliner Tierheim. Noch im April 1945 haben deutsche Soldaten die Dorfkirche gesprengt, um den Vormarsch der Roten Armee zu behindern. Später wurde das zerbombte Gutshaus abgerissen und durch einen gesichtlosen Verwaltungsbau des nachfolgenden "Volkseigenen Gutes" ersetzt. Seitdem sucht der Ort seine Mitte, da geht es ihm nicht anders als der Großstadt Berlin.

Die Kirchen vertreten nur noch sieben Prozent der 1152 Falkenberger, nebenan in Wartenberg sind es 8,5 Prozent. Eine Bastion der Ungläubigen, so scheint es. Die Initiative Pro Reli hat gar nicht erst plakatiert, zu sehen sind nur die betenden Hände vor vergilbter Mustertapete, mit denen die Linke versucht, die Organisatoren des Volksentscheids als verstockte Frömmler abzukanzeln. Eine untersetzte Frau mit Jimmy-Hendrix-Frisur und Sonnenbrille nimmt ihre Musikstöpsel aus den Ohren, um eine Meinungsäußerung abzugeben. "Religion ist frei wählbar. 'ne Partei auch." Sie hat sich entschieden, keiner Kirche oder Partei anzugehören. Beim Volksentscheid will sie abstimmen, natürlich gegen Pro Reli.

Auf der anderen Straßenseite ordnet Manfred Menzel - Latzhose, kariertes Hemd, Tarnkappen-Basecap - seine Stiefmütterchen, die er für 30 Cent das Stück verkaufen möchte. Menzel ist jetzt 70, hat die ganze DDR mitgemacht, die meiste Zeit davon in der Falkenberger LPG "1. Mai". Im Oderbruch, wo er aufgewachsen ist, ging er, wie alle, zur Christenlehre. Die Oma sagte: "Geh zum Pfarrer und bring ihm 'ne Wurscht mit." Später ist er dann ausgetreten, wie fast alle ausgetreten sind. Er ist nicht gegen Kirche, seine Frau gehe regelmäßig zum Singen. "Das sollte jeder selbst entscheiden. Keine Diktatur."

Mit dem Niedergang der DDR-Landwirtschaft wurden viele Falkenberger arbeitslos, inzwischen sind die meisten auf Rente. Nur wenige der alten Backsteinhäuser sind saniert. In den Höfen, wo früher Vieh gehalten wurde, haben sich Autowerkstätten und Gebrauchtwagenhändler eingerichtet. Am Ortseingang ist eine Ruine zu bestaunen. Dahinter ein gelb strahlender Neubau. Wenn hier gebaut wird, dann in zweiter Reihe, um den Straßenlärm zu dämpfen. Ohne die völlig überlastete Dorfstraße könnte Falkenberg ein idyllischer Rückzugsort für Großstadtmüde sein. Und tatsächlich zählt der aktuelle Sozialstrukturatlas das Dorf zu den Top Ten der Berliner Wohnlagen. Es reiht sich ein zwischen Freie Universität im Westen und Rauchfangswerder im Südosten. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 5 Prozent, der Einwohnerzuwachs bei 4,5 Prozent.

In der sanierten Dorfkate, dem alten Gesindehaus des Gutes, hat sich der Förderverein Landschaftspark Nordost eingerichtet. Von hier aus können Wanderer die Barnimer Feldmark erkunden. Bernd Lichtenberg ist Chef des Fördervereins, ein Mann mit grau meliertem Haar und Hosenträgern. Er hält Distanz zur Kirche, findet Ethikunterricht besser als Religion, lobt aber den örtlichen Pfarrer als "anerkannte Persönlichkeit", der sich auch um die weltlichen Belange der Menschen kümmere. "Der sitzt auch in der BVV Lichtenberg. Entscheidend ist für mich, was Leute bewegen wollen."

Einer von Lichtenbergs Mitarbeitern ist Axel Böttcher, ehemals Baufacharbeiter, jetzt Ein-Euro-Kraft im Infobüro des Vereins. Pro Reli? "Ich bin Heide", sagt Böttcher und lacht bis tief in seinen gewölbten Bauch hinein. Der Volksentscheid interessiert ihn nicht. Eher als in ihre neue Kirche - die wurde in Wartenberg errichtet - gehen die Falkenhagener zum Osterfeuer der freiwilligen Feuerwehr. Da gibt es "Getränke, Grill und Gulaschkanone, Fackelumzug und Knüppelkuchen." Ein Event für alle Sinne und, wie man weiß, heidnischen Ursprungs.
21.April 2009


Quellen:

21. April 2009 Der Tagesspiegel