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Airlines könnten Berlin auch umfliegen

Es ist nicht zwingend notwendig, dass wie derzeit geplant ein Teil der Startrouten des neuen Schönefelder Flughafens über Berlin hinweggeführt wird. Denkbar sei auch, dass die Strecken so verlaufen, dass zumindest ein großer Teil des Stadtgebiets umflogen wird, hieß es gestern bei der Lufthansa. Zwar kosten längere Routen Kraftstoff, sagte ein Sprecher. Doch das Umfliegen von Militärbasen und anderen Sperrbereichen in Europa sei ein größeres Problem als das Umfliegen von Siedlungsgebieten. In Frankfurt am Main wurde ein Teil der Flugrouten so geändert, dass dicht besiedelte Bereiche jetzt ausgespart werden.

Dort wurde Ende Juni ein Maßnahmenpaket für aktiven Schallschutz verabschiedet, sagte Peter Schneckenleitner von der Lufthansa. Es sieht nicht nur vor, dass die Lufthansa ihre Boeing-737-Flotte mit Schalldämpfern nachrüstet. Beschlossen wurde auch, dass Offenbach sowie andere stark besiedelte Gebiete in betriebsarmen Zeiten südlich umflogen werden. Der "gekrümmte Anflug" (so der Fachbegriff) beeinflusst die Flughafenkapazität. Trotzdem soll er nach Möglichkeit in verkehrsreiche Zeiten ausgedehnt werden. Schon jetzt sei die Zahl der Lärmbetroffenen "dramatisch gesunken", hieß es. Es gebe aber auch Verlierer, weil mancherorts der Fluglärm zunahm.

"Umwege als Lärmvermeidungsstrategie werden bei uns akzeptiert, wenn der konkrete Nutzen nachgewiesen ist und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gewährleistet sind", fasste Peter Schneckenleitner zusammen.

In der Luftfahrtszene rechnet man aber nicht mit zusätzlichem Fluglärm in Berlin. Thomas Kärger vom Pilot/ Controller Club Berlin-Brandenburg bezeichnete solche Befürchtungen gestern als "Polemik". "Wenn hoffentlich 2012 der neue Schönefelder Flughafen öffnet, kann Tegel geschlossen werden. Das entlastet Berlin von Fluglärm. Unterm Strich wird hier die Zahl der Betroffenen stark sinken." Die absehbaren neuen Startrouten werden meist in großer Höhe über das Stadtgebiet hinwegführen. "Am Boden wird man von den Flugzeugen nichts hören", sagte Kärger, der als Flugkapitän tätig ist. Schon jetzt verlaufen viele Routen über Berlin. Eine dieser Strecken führt von Tegel nach Falkensee, von wo es nach einer Linkskurve in drei Kilometer Höhe über Gatow, Dahlem und Marienfelde nach Osten geht. Kärger: "Niemand regt sich darüber auf."

Trotzdem hat die Nachricht, dass die Deutsche Flugsicherung (DFS) einen Teil der Startrouten über den Berliner Süden führen will, die Immobilienwirtschaft in große Unruhe versetzt. "Für mich war das ein Schock", sagte Dirk Wohltorf, Vorsitzender des Immobilienverbandes Deutschland in Berlin-Brandenburg (IVD), gestern zu dem Konzept der Flugsicherung. Sollten die Routen tatsächlich wie vorgesehen über Wannsee, Dahlem, Grunewald und Schmargendorf verlaufen, würde damit die beste Wohnlage Berlins beschädigt. "Ich denke, dass es bei Leuten, die überlegen, eine Immobilie im Südwesten Berlins zu kaufen, einen psychologischen Knacks gibt", sagte Wohltorf.

Er könne sich vorstellen, dass sich Käufer, die ein Haus für eine Million Euro erwerben wollen, nun erst einmal zurückhalten. "Psychologisch ist das dramatisch." Fluggeräusche könnten nicht ignoriert werden. Im Gegensatz zu anderen Gebieten sei bisher nicht die Rede davon gewesen, dass der Südwesten vom Schönefelder Großflughafen betroffen sein könnte. Wohltorf: "Die Immobilienbranche ist verunsichert. Der IVD appelliert an die Politik aufzupassen, nicht die beste Wohnlage kaputt zu machen."

Der Berliner Mieterverein (BMV) bezeichnete die Vorschläge für die neuen Flugrouten als "noch nicht ausgereift". Insbesondere bei Ostwind sei mit "Mehrbelastungen auch im innerstädtischen Bereich" zu rechnen, sagte BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Die Vorschläge sollten deswegen noch einmal überprüft werden. Sollte der Süden Berlins künftig stärker von Fluglärm betroffen sein, könnte sich dies auch bei den Mieten bemerkbar machen. Wild verwies darauf, dass Fluglärm im Mietspiegel ein wohnwertminderndes Merkmal sei. Dies könne sich bei künftigen Mieterhöhungen preismindernd auswirken.

Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen zeigte sich von den Routenvorschlägen überrascht. "Wir appellieren an den Senat, dass er zu seinem Versprechen steht, den Fluglärm soweit wie möglich zu vermindern", sagte der Sprecher David Eberhart.

09. September 2010


Quelle:

Berliner Zeitung, 09.09.2010