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Nobelbuden und Bordsteinschwalben

Berlin. Weil Bauland im Zentrum immer knapper wird, nehmen Entwickler selbst für Edelwohnungen mittlerweile Lagen ins Visier, an die früher niemand gedacht hätte. Ein Beispiel: ist der Straßenstrich rund um die Kurfürstenstraße. Doch die Makler der Hauptstadt warnen: Auch neue Eigentumswohnungen sind keine Selbstläufer. Häuser müssen in die Gegend passen. Gleichzeitig sind Berliner Immobilien teurer und nachgefragt wie nie zuvor.

Bibbernd stehen die halben Kinder in diesen ersten Dezembertagen in ihren dünnen Höschen auf dem Straßenstrich. Grell geschminkt, die Zigarette zwischen den Fingern warten sie auf den nächsten Freier. Leiser, verschämter trotzen die älteren Semester unter den Bordsteinschwalben in Netzstrümpfen und hochhackigen Schuhen der Kälte. Rund 300 Frauen, schätzen die Sozialarbeiter, gehen rund um die Kurfürstenstraße im Berliner Stadtteil Tiergarten dem horizontalen Gewerbe nach.

Doch genau hier zwischen Derfflingerstraße und Genthiner Straße, wollen die Berliner Architekten Andreas Becher und Niko Hatzijordanou, B&H Immobilien, gemeinsam mit dem Entwickler Dirk Germandi, Profi Partner, für 50 Mio. Euro 88 noble Wohnungen garniert mit etwas Gewerbe bauen. Dafür hat das Trio im Dezember vergangenen Jahres das gut 4.000 m2 große, handtuchschmale Grundstück vom Möbelmagnaten Kurt Krieger erworben. Derzeit ist das Areal mit einem Wohnhaus für 18 Parteien, einer Tiefgarage, einem ehemaligen und bis auf das Erdgeschoss leer stehenden Gewerberiegel und einer unter Denkmalschutz stehenden Villa bebaut. Die bisher gewerblich genutzte Villa mit rund 400 m2 Fläche wollen die Käufer sanieren. Sie soll wieder als Büro genutzt werden. Der langgestreckte Bau an der Genthiner Straße 41 mit rund 5.600 m2 Fläche, derzeit vom Dänischen Bettenlager bespielt, bleibt bestehen. Unten sehen verschiedene Konzeptstudien Büros vor. Allenfalls im Dachgeschoss seien acht Wohnungen möglich, heißt es weiter. "Dieser Bauteil wird komplett vermietet", sagt Germandi.

Die übrigen Wohnungen werden wohl neu gebaut. Das 80er-Jahre-Wohnhaus wird dafür mit Eingang zur ruhigeren Derfflingerstraße vermutlich abgerissen. Die Erlaubnis dafür liegt jedenfalls vor. "Im ganzen Objekt gibt es nur noch acht Mieterparteien, und davon sind zwei die Hausmeister von Krieger, die ohnehin ausziehen, und die anderen sechs ziehen in Ersatzwohnungen um", weist David Eckel, Sprecher der Investoren, auf die Sozialverträglichkeit der Pläne hin. Wie viele der neuen Quartiere Miet- bzw. Eigentumswohnungen werden, ist noch offen. Kalkuliert wird für die zwischen 45 und 80 m2 großen Wohnungen mit Mieten zwischen 11 und 12 Euro/m2. Die Verkaufspreise gehen mit 4.500 Euro/m2 an den Start. Im Herbst 2016 wollen die drei Unternehmer mit dem Bau beginnen. Im Winter 2017/2018 könnte der Edelkiez in bunter Nachbarschaft bezugsbereit sein.

Bordsteinschwalben, Straßenstrich und Beschaffungsprostitution schreckt das Trio genauso wenig wie der Magdeburger Platz nebenan, den der Bezirk gerade erst sperren ließ. Die Grünanlage war mit Spritzen und Kondomen übersät. Im Gegenteil. "Dem Kiez rund um die Derfflinger Straße steht eine phänomenale Entwicklung bevor. Zum Leben und Arbeiten ist die Lage ideal: Potsdamer Platz und KaDeWe sind fußläufig erreichbar und das renommierte Französische Gymnasium liegt gleich gegenüber. Mit dem Quartiersmanagement hat der Bezirk zudem bewiesen, dass er die noch bestehenden Herausforderungen aktiv aufgreifen will", macht sich Germandi Mut. Und er sei nicht allein. Insgesamt existierten bei ihm Pläne für zusammen 420 neue Wohnungen im Kiez, die die positive Entwicklung weiter befördern und Nutten und Huren schon in ihre Schranken weisen würden.

Berlins Wohnungsmakler sind da weniger optimistisch. "Käufer und Mieter müssen hier akzeptieren, dass eine Stadtteilentwicklung eingepreist ist, die noch nicht stattgefunden hat", sagt Dirk Wohltorf, Vorstandsvorsitzender des Immobilienverbands Berlin-Brandenburg IVD, "die Kurfürstenstraße ist eine der letzten schwierigen Lagen in der Innenstadt." Und erläutert: Ein hochwertiges Produkt in einer vom Image her schlechten Lage ist nicht empfehlenswert. Und auch wenn Wohnungen in der Stadt teurer und begehrter sind als je zuvor, wie der in der vergangenen Woche vorgelegte Preisspiegel des Verbands darlegt: Auch neue Eigentumswohnungen verkauften sich nicht automatisch.

Dem Zahlenwerk zufolge kletterten die Preise für gebrauchtes Stockwerkseigentum binnen Jahresfrist durchschnittlich um 12% auf im Schnitt 1.850 Euro/m2. In guten Gegenden stiegen die Werte um über 13% auf 2.500 Euro/m2. Der IVD addiert tatsächlich gezahlte Preise, anders als die Immobilienportale, die, nach dem Motto "Wünsch Dir was", wie viele Makler spotten, mit noch nicht erzielten Angebotspreisen jonglieren. Neue Wohnungen gingen dem IVD zufolge für 3.200 bzw. 4.000 Euro/m2 über den Tisch.

Einen regelrechten Run erlebt der Bezirk Mitte. In den Standardlagen verteuerten sich die Gebrauchtwohnungspreise um fast 30% auf im Schnitt nun 2.400 Euro/m2. Um mehr als 37% ging es in den Vorzugswohnlagen nach oben, in denen jetzt bis zu 3.300 Euro/m2 gezahlt werden müssen (siehe Grafik "Der Bezirk Mitte hat die Nase vorn").

Einen kräftigen Schnaps obendrauf konnten sich die Verkäufer von Wohn- und Geschäftshäusern genehmigen. Um bis zu 25% stiegen die Werte im Bezirk Mitte. Berlinweit wurden in diesem Jahr bis zum 16,5fachen der Jahresnettokaltmiete gezahlt. Das entspricht einem Plus von 9%.

Die Preise werden in den gefragten Innenstadtlagen innerhalb des S-Bahn-Rings auch weiterhin steigen. Da sind sich die Experten einig. "Aber wohl nicht mehr in diesem Tempo", mutmaßt Katja Giller, Frontfrau des IVD-Wertermittlungsausschusses. Analog der Mietenentwicklung, deren Wachstum sich mit jetzt 9 Euro/m2 in guten Lagen und 7,50 Euro/m2 in normalen Gegenden ein wenig verlangsamt hat, werden auch die Kaufpreise nicht in den Himmel wachsen.

Quelle:
Immobilienzeitung (06.12.2015)