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„Mister Vorkaufsrecht“ Wie Baustadtrat Florian Schmidt gegen Spekulanten kämpft

Die Botschaft ist eindeutig: „Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn“ steht auf dem Plakat an der Glastür im achten Stock des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg an der Yorckstraße. Darunter der Hinweis, dass am Sonnabend, den 14. April, eine Demonstration „für eine solidarische Stadt“ geplant ist. Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) hat das Plakat angebracht, es hängt ein paar Meter von seinem Büro entfernt. An der Demo werde er natürlich teilnehmen, sagt der 42-Jährige. Da ist er ganz der Aktivist, der sich persönlich für die Bürger einsetzt. Aktivist sein – das sei eine Haltung, die man nicht ablege, erklärt er.

Dass sich Schmidt, der ehemalige Atelierbeauftragte Berlins, für die Mieter stark macht, demonstriert er seit Beginn seiner Amtszeit Ende 2016. Im vergangenen Jahr hat er über den Bezirk in elf Fällen Immobilien in Milieuschutzgebieten der Spekulation entzogen – durch Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts. In diesem Jahr hat das Bezirksamt schon zwei Mal von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht, und die nächsten Fälle werden bereits geprüft. „Als Bezirksstadtrat setze ich mich dafür ein, die Menschen vor Verdrängung zu schützen“, sagt Florian Schmidt. Längst wird der Soziologe „Mister Vorkaufsrecht“ genannt.

Dass es sich lohnt, für die eigenen Überzeugungen zu streiten, lernte Schmidt schon als Kind. In der Grundschule beschwerte sich der gebürtige Kölner bei einem Lehrer über eine rassistische Darstellung in einem Schulbuch. Diese wurde später tatsächlich geändert.

In Berlins Milieuschutzgebieten nutzt der Stadtrat heute die gesetzlichen Möglichkeiten zugunsten der Mieter. So haben die Bezirke beim Verkauf von Häusern zwei Monate Zeit, um in den Kaufvertrag einzutreten, wenn zu befürchten ist, dass die Ziele des Milieuschutzes ausgehebelt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Nicht zum Zuge kommt das Vorkaufsrecht, wenn sich der Käufer in sogenannten Abwendungsvereinbarungen verpflichtet, die Ziele des Milieuschutzes einzuhalten. Im vergangenen Jahr haben Käufer in elf Fällen solche Vereinbarungen unterzeichnet.

Neuvermietungen im Szenebezirk



Ich habe den Eindruck, es gibt zunehmend die Erkenntnis, dass das sinnvoll ist“, sagt Schmidt. Mieter in Friedrichshain-Kreuzberg sind von Verdrängung besonders gefährdet. Der Grund: Der Anteil der Menschen mit niedrigen Einkommen ist hoch. Zugleich sind freie Wohnungen bei der Neuvermietung in dem Szenebezirk so teuer wie nirgendwo sonst in Berlin. Vermieter verlangten im vergangenen Jahr in Friedrichshain-Kreuzberg für freie Wohnungen durchschnittlich 11,91 Euro je Quadratmeter kalt, wie aus dem jüngsten Wohnmarktreport der Bank Berlin Hyp und des Maklerhauses CBRE hervor geht.

Will ein Mieter mit geringem Einkommen innerhalb von Friedrichshain-Kreuzberg umziehen, sind seine Chancen gering, eine bezahlbare Bleibe im Kiez zu finden.
Mit Ausübung des Vorkaufsrechts will der Baustadtrat des Bezirks den Preisauftrieb bremsen. Es lohne sich, jetzt zu investieren, um Immobilien im kommunalen oder gemeinwohlorientierten Besitz zu sichern, sagt Schmidt. Denn in Zukunft werde es eher noch teurer.

Die Bezirke üben das Vorkaufsrecht zu Gunsten eines Dritten aus. Sie bezahlen also selbst kein Geld. Der Dritte ist in der Regel eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft. Zuletzt gelang Schmidt jedoch ein Clou: Weil der Kaufpreis für ein Wohnhaus an der Eisenbahnstraße/Ecke Muskauer Straße nach einer Versteigerung für eine kommunale Gesellschaft zu hoch war, übte der Bezirk das Vorkaufsrecht zugunsten eines privaten Dritten aus. Dieser hatte sich zuvor gegenüber dem Bezirk zu den Zielen des Milieuschutzes bekannt – und den Mietern außerdem weitgehende Zusicherungen gemacht. Das Beispiel zeigt, dass der Bezirk selbst bei hohen Preisen einen Weg findet, um seine Interessen für einen verstärkten Mieterschutz durchzusetzen.

Ausübung des Vorkaufsrechts in Kreuzberg „rechtswidrig“?



Beim politischen Gegner und in Teilen der Immobilienwirtschaft stößt Schmidts Kurs dagegen auf Widerspruch. „Ich halte Herrn Schmidts Aktivitäten für blanken Populismus und auch im Amtshandeln für gänzlich ungeeignet, die Probleme in diesem Bezirk zu lösen“, sagt der CDU-Abgeordnete Christian Gräff. Und die FDP-Abgeordnete Sibylle Meister stellt fest: „Die Wohnungsknappheit wird damit weiterhin zementiert.“

Dirk Wohltorf, Vorstandschef des Immobilienverbandes Deutschland, kritisiert, durch Ausübung des Vorkaufsrechts entstehe nicht „eine zusätzliche, neue Wohnung“. Der Rechtsanwalt Mathias Hellriegel meint gar, die Ausübung des Vorkaufsrechts in Kreuzberg sei „rechtswidrig“. Ähnlich argumentiert Jacopo Mingazzini vom auf Privatisierungen spezialisierten Unternehmen Accentro.

Schmidt weist die Vorwürfe zurück. Der Kurs bei der Ausübung des Vorkaufsrechts werde fortgesetzt, sagt er. Unterstützt wird der Stadtrat von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke). „Ich begrüße dieses Vorgehen und unterstütze die Bezirke, gemeinsam mit der Finanzverwaltung“, erklärt sie. Und der Berliner Mieterverein (BMV) hofft, dass die anderen Bezirke ebenfalls aktiv werden.

BMV-Chef Reiner Wild: „Dann hätte der Berliner Senat auch mehr Chancen, die Ziele zur Ausweitung des städtischen Wohnungsbestandes zu erreichen.“ Schmidt denkt schon an mehr. Er will nicht nur den Anteil der kommunalen Wohnungen erhöhen, sondern auch den Anteil der Wohnungen, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind – von jetzt 25 auf künftig 50 Prozent. Gut möglich, dass er es schafft. Dass er nicht einfach locker lässt, hat er schließlich schon in der Grundschule gezeigt.

Quelle: Berliner Zeitung (20.03.2018)