Pankow: Bauboom in der Einflugschneise von Tegel
Im Florakiez kommen mit dem Ende des Fluglärms viele Bauprojekte zum Abschluss. Ein Überblick.
Berlin. Es ist still geworden am Himmel über Pankow. Kaum mehr als zehn Flugzeuge pro Tag neigen ihre Nase über dem Florakiez zum Landeanflug auf Tegel. Und ab Juni geht der City-Airport wegen der eingebrochenen Nachfrage vollends in einen zweimonatigen Ruhemodus.
Ob der Berliner Senat Tegel für das kurze Zeitfenster von Anfang August bis Ende Oktober – dann startet bekanntlich der neue Hauptstadtflughafen BER – noch einmal hochfahren wird, bleibt ungewiss. Was jetzt in der verkehrsberuhigten Einflugschneise im Pankower Florakiez umso mehr auffällt: Das Schaufeln und Hämmern der Bauarbeiter, das Surren der Kräne in bis vor kurzem verwilderten Brachen.
Auf acht Grundstücken kommen mit dem Näherrücken der BER-Eröffnung Projekte zum Abschluss oder neu in Gang. Dabei reicht die Spanne von der günstigen Genossenschaftswohnung bis zum luxuriösen Apartment mit Glasfront zum flugzeugfreien Himmel.
Schallschutz in Pankow bleibt auch ohne Tegel gefragt
Am unteren Ende des Preissegments setzt die landeseigene Wohnungsgesellschaft Gesobau an der Mühlenstraße 24 einen fünfgeschossigen Neubau mit 107 Mietwohnungen und vier Seitenflügeln an den Bahndamm kurz vor dem S-Bahnhof Pankow. Auch wenn die neuen Bewohner nach der Fertigstellung 2022 keinen Fluglärm mehr hinnehmen müssen, so spielen andere Geräuschquellen hier trotzdem eine besondere Rolle.
Während auf der Westseite des Blocks vorbeifahrende Züge vernehmbar sind, muss die Gesobau ihr Projekt auf der Ostseite an einen vorhandenen Bolzplatz anpassen. „Die bloße Existenz eines Sportplatzes löst Vorschriften aus, auf die mit speziellen Schallschutzvorlagen reagiert werden muss“, weist das Unternehmen auf eine formelle Hürde hin – und reagiert mit einer entsprechenden Gestaltung der Fassade: „Bei unserem Neubau wird deshalb eine Schallschutz-Loggienverglasung installiert.“
Monate vor der Fertigstellung ausverkauft: Das Wohnungsbauprojekt "Am Bürgerpark" vor dem S-Bahnhof Wollankstraße in Pankow.
Monate vor der Fertigstellung ausverkauft: Das Wohnungsbauprojekt "Am Bürgerpark" vor dem S-Bahnhof Wollankstraße in Pankow.
Foto: Thomas Schubert / BM
Gleich daneben knüpft der Bauherr Lehmann-Immobilien Berlin in der Mühlenstraße 32 an die künftigen Dimensionen des Gesobau-Projekts an, verkauft die Wohnungen aber als hochwertiges Eigentum – und verwendet als Baustoff Holz.
Unter dem Titel „The Green House“ verbindet Lehmann die Vorteile des ökologischen Baustoffs mit einer modularen Bauweise. „Die Wandelemente werden in transportierbarer Größe in der Produktionshalle vorgefertigt und direkt auf der Baustelle in der Mühlenstraße in kürzester Zeit montiert“, erklärt das Unternehmen zum Verfahren. Es entsteht ein fünfgeschossiger Block mit 25 Wohnungen in Größen von 37 bis 130 Quadratmetern.
Überschaubare Mieten sind wiederum das Ziel der Baugenossenschaft EWG an der Ecke Maximilian- und Dolomitenstraße. Jede der 39 Mietunterkünfte soll mit einem eigenen Tiefgaragenplatz aufwarten. Autos haben trotzdem weniger Platz als vorher – denn immerhin mussten für das elf Millionen Euro teure Projekt auf dem Pankower Grundstück 60 vorhandene Einzelgaragen aus der Nachkriegszeit weichen. Und nicht nur die.
Auch ein Teil der Mauerstücke vor dem dahinterliegenden Bahndamm rissen Bagger vor wenigen Wochen nieder. Manche Denkmalschützer sehen die Betonstücke als Teil der Berliner Mauer an – für die Planung des Wohnprojekts spielten sie aber keine Rolle. Schon im nächsten Jahr will die EWG die ersten Schlüssel übergeben. „Wenn alles planmäßig verläuft, wird der Rohbau des Neubauprojekts im Februar 2021 fertig sein, dem dann der Innenausbau folgt“, heißt es zum Zeitrahmen.
Bauprojekte in Pankow vor allem in Bahnhofsnähe
Im mittleren Preissegment dürften sich die 21 Wohnungen des Vorhabens „Florentina 46“ in einer bisher als Parkplatzfläche genutzten Baulücke zwischen dem S-Bahnhof Pankow und der Florastraße bewegen. Der Investor Otto Heil Immobilien aus dem sächsischen Taucha will einen Teil der Parkplätze erhalten und das Haus ab 2022 an die Bewohner übergeben.
Ebenfalls in S-Bahnnähe, ab 2021 übergabefertig und bereits ausverkauft: Das Wohnensemble „Am Bürgerpark“ in der Schulzestraße an der Station Wollankstraße mit vergleichsweise kompakten 48 Wohnungen, die ein bis drei Zimmer haben. Die Vermarktungsfirma Grossmann & Berger setzt auf Fußbodenheizungen und Schallschutzverglasung – denn auch hier werden die Züge vernehmbar sein, wenn der Flugverkehr stillsteht.
Abseits der Gleise in der Gaillardstraße zeigt das Projekt „Topaz“ des Entwicklers Archigon, dass im Premium-Segment auch Angebote mit bis zu 8000 Euro pro Quadratmeter möglich sind. Die oberste der 34 Eigentumswohnungen hinter der auffällig verschachtelten Glasfront soll rund eine Million Euro kosten.
Neue Ansichten in der Pankower Gaillardstraße: Ende 2020 sind 34 Eigentumswohnungen im Wohnensemble "Topaz" bezugsfertig.
Neue Ansichten in der Pankower Gaillardstraße: Ende 2020 sind 34 Eigentumswohnungen im Wohnensemble "Topaz" bezugsfertig.
Nicht das einzige luxuriöse Vorhaben in Pankow. Unter dem Namen „Kiez & Gloria“ lässt der Entwickler Project Immobilien an der Kreuzstraße ein fünfgeschossiges Wohnhaus mit beigefarbener Fassade und Quadratmeterpreisen von rund 5400 Euro fertigstellen.
Schräg gegenüber haben Bauarbeiter in der Tegel-Einflugschneise ein früheres Gewerbegrundstück freigeräumt. Hier entstehen in drei Häuserzeilen hintereinander die „Neuen Florahöfe“ mit Quadratmeterpreisen von bis zu 5300 Euro pro Quadratmeter, vermarktet von der Firma Radtke.
Quadratmeterpreis bei Grundstücken um 660 Prozent gestiegen
Dass die Preise bei Neubauten tendenziell nach oben wandern, hängt mit der deutlichen Verteuerung der Bodenpreise zusammen: Die Zeiten, als freie Grundstücke im Florakiez für 330 Euro pro Quadratmeter verkauft wurden, waren 2013 vorbei. Von da an ging es bis Anfang 2020 steil bergauf. Wie der Gutachterausschuss des Landes Berlin vermeldet, stieg der Wert im Vergleich zu 2013 inzwischen um 660 Prozent auf 2.500 Euro pro Quadratmeter.
Aus Sicht von Dirk Wohltorf vom Immobilienverbandes (IVD) Berlin-Brandenburg keine Überraschung. „Die Schließung von Tegel ist längst eingepreist“, sagt er zu den Entwicklungen der letzten Jahre. Die jetzige Nachrichtenlage, dass Tegel tatsächlich vom Netz geht und der BER eröffnet, sei nur noch eine Bestätigung der langfristigen Erwartung. Trotz eines Dämpfers durch die Corona-Krise bleibe beim Wohneigentum gerade im Norden Berlins die Nachfrage größer als das Angebot. „Familien wollen in die eigenen vier Wände“, glaubt Wohltorf eine Verfestigung des Trends. Dass ein weiterer Preisschub kommt, wenn endgültig Stille am Himmel herrscht, sei beim Abflauen der Krise ab 2021 nicht ausgeschlossen.
Quelle: Berliner-Morgenpost (12.05.2020)