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Niemand hat mit der Dynamik gerechnet

Dirk Wohltorf ist zwar erst 44, aber er kennt den Berliner Immobilienmarkt seit den späten Neunzigerjahren gut. Der Makler hat erlebt, wie der Osten und die Mitte der Stadt sich damals entwickelten – und den Westteil über Jahre abhängten. Das hat sich wieder geändert, aber damit war auch durchaus zu rechnen. Womit aber selbst Profis wie Wohltorf nicht gerechnet haben, ist das, was sich zurzeit auf dem Berliner Immobilienmarkt abspielt. Die Stadt verändert sich noch einmal drastisch.

Herr Wohltorf, in Berlin sind Wohnungen so knapp wie lange nicht mehr. Wozu braucht man noch Makler, wenn es ohnehin nichts gibt, was sie vermitteln können?
Wir haben in Berlin im vergangenen Jahr rund 28 000 ImmobilienVerkäufe gehabt. Es ist also nicht so, dass es gar kein Angebot mehr gibt. Es wird aber immer weniger. Jahr für Jahr. Das stimmt. Der Makler als Mediator zwischen den Parteien hat aber weiterhin seine Berechtigung, egal wie viele Transaktionen es gibt.

Wenn Sie zurückschauen vom Mauerfall bis heute: Wie haben sich das Wohnen, das Leben und der Immobilienmarkt in Berlin verändert?
Nach dem Mauerfall dachten viele, wir überholen in den nächsten Jahren New York, Paris und London. Aber dann kam alles anders. Die Zahl der Einwohner sank. Viele wanderten ins Umland ab. Bundesregierung und Parlament zogen erst mit sehr viel Zeitverzögerung von Bonn nach Berlin. Die Stadt hat ihre Wohnungen verkauft, andere haben dieWohnungen erworben – und an die Stadt geglaubt, haben gesagt, wir machen was draus. Ich glaube, das gehört auch zur Wahrheit. Und da hat auch keiner mehr über Charlottenburg, Wilmersdorf und Schöneberg geredet. Alles spielte sich im Ostteil der Stadt ab. Dann machte man sich regelrecht Sorgen um die Seitenstraßen des Kurfürstendamms. Der Kudamm war out, die Geschäfte waren leer. Das hat sich erst in den letzten zehn Jahren wieder stark gedreht.

Hätten Sie mit einem Engpass, wie er heute auf dem Immobilienmarkt zu beobachten ist, gerechnet?
Ich habe damit gerechnet, dass die Preise für die Hauptstadt nicht auf einem Niveau wie in Bielefeld oder Gütersloh bleiben können. Aber ich wage zu sagen: Niemand hat mit der Dynamik gerechnet, die wir in den letzten Jahre beobachten konnten. Denn die Leute hätten sonst nur gekauft, gekauft, gekauft. Es gab natürlich immer Optimisten, die gekauft haben und gesagt haben, ich glaube an die Stadt. Aber die Dynamik ist nur entstanden, weil Berlin sich dann doch so toll entwickelt hat. Und weil das Geld so günstig ist. Die Geldanlage in Immobilien ist alter nativlos, etwas anderes macht keinen Sinn. Und junge Familien haben verstanden, dass die selbst genutzte Immobilie die beste Altersvorsorge ist. Ich glaube, dass der heutige Markt den ganz normalen Immobilienmarkt einer europäischen Hauptstadt abbildet und die fallenden und stagnierenden Preise vor zehn oder fünfzehn Jahren unangemessen waren.

Wie war denn der Immobilienmarkt vor zehn Jahren?
Vor zehn Jahren hat man in vielen Berliner Bezirken für weniger als 1 000 Euro pro Quadratmeter Eigentumswohnungen bekommen. In guten Berliner Vororten lag der Bodenwert im Jahr 2006 bei 200 bis 250 Euro pro Quadratmeter. Diese Werte haben Sie heute 50 Kilometer entfernt von der Hauptstadt. Ich bin sehr froh über die Entwicklung. Berlin würde heute nicht so aussehen, wenn nicht Kapitalanleger und Eigentümer auf eigenes Risiko an die Stadt geglaubt hätten. Wenn ich Berlin heute mit der Stadt Berlin im Jahr 1990 vergleiche, dann kann mir keiner sagen, dass es früher besser war.

Hat sich das Ansehen der Makler seither eigentlich geändert?
Weiß ich nicht. Seitdem ich das verfolge, liegen bei der Beliebtheit der Berufe lediglich noch Ge-
brauchtwarenhändler hinter den Maklern. Nur in der Finanzkrise waren die Banker noch hinter uns. Ich persönlich kann mich aber nicht beklagen.

Seit vier Jahren gilt für die Vermittlung von Mietwohnungen, dass derjenige den Makler bezahlen muss, der ihn beauftragt. Nun soll das Besteller-Prinzip auch für die Vermittlung von
Wohneigentum eingeführt werden. Ihre Branche protestiert, aber was spricht dagegen?

Wenn es wirklich ein Besteller-Prinzip für beide Seiten wäre, wäre es in Ordnung. Die vor vier Jahren eingeführte Regelung gibt dem Makler aber gar nicht die Möglichkeit, im Auftrag wohnungssuchender Mieter zu arbeiten und sich von ihnen dafür auch bezahlen zu lassen. So darf ich en Wohnungssuchenden nur solche Wohnungen provisionspflichtig anbieten, die ich zu dem Zeitpunkt, zu dem ich beauftragt wurde, noch nicht kannte. Wenn ich drei Wohnungen finde und der Interessent keine davon nimmt, darf ich dann später keine der drei Wohnungen dem nächsten Interessenten provisionspflichtig anbieten. Ein echtes Besteller-Prinzip sieht anders aus.

Immerhin muss der Mieter nicht mehr automatisch zahlen, wenn der Eigentümer dem Makler den Auftrag erteilt hat, so wie es früher war.
Heute arbeitet der Makler im Kaufmarkt aber doch noch immer für den Eigentümer, und am Ende zahlt der Käufer. Wenn Sie das glauben, dann kommen Sie mal zwei Tage mit mir mit. Dann zeige ich Ihnen, was wir alles für die Käufer machen. Erst kommen sie zur Beratung, dann gehen wir zu diversen Besichtigungen und zum Bauamt. Wir prüfen außerdem das Baulastenverzeichnis, indem beispielsweise die Lage von Fluchtwegen geregelt ist, wir checken die Finanzierung und wir schauen, ob der Zuschnitt des Grundstücks verändert werden muss. All das interessiert den Verkäufer nicht. Der Verkäufer will seine Immobilie verkaufen und das Geld haben. Aber der Käufer sagt: Ich kaufe nur, wenn das geklärt ist. Der Makler wird aber erst dann bezahlt, wenn es beim Notar zur Unterschrift kommt. Das ist bei 100 Beratungen vielleicht fünfmal der Fall. 95 Mal werde ich also nicht bezahlt.

Noch einmal zurück zum Besteller-Prinzip: Was wäre denn aus Ihrer Sicht besser für die Kunden?
Ich glaube, dass eine hälftige Teilung gut wäre. Damit kann jeder leben und so wird es in 75 Prozent der Bundesländer seit Jahrzehnten auch praktiziert. Im Übrigen ohne gesetzlichen Eingriff. Damit wird abgebildet, was wir machen. Denn ich bin fast nie einseitiger Interessenvertreter. Ich bin sicher, dass der Makler weiter seine Berechtigung hat. Was ich viel schlimmer finde, ist, dass wir als Immobilienverband seit Jahrzehnten erfolglos für die Einführung eines Fach- und Sachkundenachweises für Makler kämpfen. Damit wollen wir erreichen, dass der Vermittler ein fachkundiger Profi ist. Zurzeit ist es nämlich noch so, dass jeder morgen Makler sein kann. Man muss nur zum Gewerbeamt gehen, ein paar hundert Euro bezahlen und bekommt eine Gewerbeerlaubnis. Egal, was man vom Geschäft versteht.

Das ärgert Sie?
Ja, das ärgert mich. Es gibt leider viele schwarze Schafe in unserer Branche, gegen die wir uns nicht wirklich wehren können.

Wie erkenne ich als Kunde, wer ein guter Makler ist?
Daran, dass der Makler in einem der großen Verbände organisiert ist: im Immobilienverband Deutsch-land (IVD) oder im Ring Deutscher Makler (RDM). Das sind die beiden Verbände, die darauf achten, dass keine schwarzen Schafe reinkommen und sich die Makler entsprechend fortbilden.

Was kann mir passieren, wenn ich an den Falschen gerate?
Dass er Ihnen die wichtigsten Informationen zu dem Objekt vorenthält. Oder dass er gar keinen Auftrag hat, die angebotene Immobilie zu vermitteln. Das ist nämlich noch immer möglich. Es gibt in Berlin große Makler, die Exposés bei kleinen Anbietern abfischen und dann ihre oft Tausenden Kunden damit bombardieren. Das macht den Markt kaputt. Wir bitten deswegen die Politik: reguliert uns doch. Gebt uns den Fach- und Sachkundenachweis und regelt, dass die Provision nur wirksam verdient ist, wenn der Makler vom Verkäufer auch einen echten Verkaufsauftrag erhalten hat. Eigentlich völlig selbstverständlich. In der Praxis aber eben doch nicht.

Wie viele Makler könnten so in Berlin aussortiert werden?
Zehn Prozent der Makler wären dann sofort vom Markt verschwunden. Von den Maklern, die hier in Berlin arbeiten, gibt es einige, die haben in der Branche einfach nichts zu suchen. Die kriege ich anders nicht weg. Das geht nur mit einer Überprüfung der Qualität. Gerade ältere Leute schenken Maklern das Vertrauen, die sympathisch rüberkommen. Und werden, wenn sie an den Falschen geraten, über den Tisch gezogen. Der sagt dann, das Haus ist 400 000 Euro wert, obwohl er weiß, dass es 600 000 Euro wert ist – und verkauft die Immobilie am Ende an seine Lebensgefährtin für 400 000 Euro. Das hat man alles schon erlebt.

Vermitteln Sie eigentlich auch Mietwohnungen?
Selten.Weil uns dieses falsche Besteller-Prinzip hier behindert und der Andrang nur schwer zu bewältigen ist. Wenn ich bei Immobilienscout am Abend eine Wohnung rein telle, habe ich am nächsten Morgen 100 Anfragen per E-Mail. Wo fange ich an, wo höre ich auf? Deswegen mache ich das nicht mehr.

Das spiegelt die Wohnungskrise in der Stadt wider.Verstehen Sie den Ärger über börsennotierte Unternehmen, welche die Mietpreise in Berlin in die Höhe treiben?
Schauen Sie sich bitte mal an, wie viele Wohnungen diese börsennotierten Unternehmen in Berlin halten. Das ist doch nur ein Teil. Ich glaube vielmehr, dass der Staat oder der Berliner Senat versagt. Denn in der Berliner Verfassung steht, dass das Land dafür Sorge zu tragen hat, dass genügend Wohnraum zur Verfügung steht insbesondere für sozial Schwache, und dass die Eigentumsbildung zu fördern ist. Tatsächlich ist es so, dass der Senat die Eigentumsbildung nicht nur nicht unterstützt – er verhindert sie sogar. Zu mir kommen junge Familien, die ihre Wohnung in Prenzlauer Berg nicht kaufen können, auch wenn sie diese bezahlen oder finanzieren könnten, weil dort Mietwohnungen nicht mehr zu Eigentumswohnungen umgewandelt werden dürfen. Das ist doch nicht zielführend. Weil der Senat angestammte Bewohner vor Verdrängung schützen will und deshalb Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen erschwert. Natürlich würden in ein solches Haus auch neue Eigentümer reinwollen. Aber dass wir alles verhindern und nichts ermöglichen, das ist so typisch in unserer Stadt. Die Immobilienwirtschaft ist das Böse, die Eigentümer und Vermieter sind es auch. Man sieht aber nicht, was die
freie Immobilienwirtschaft im Vergleich zum Land macht. Sie hat mehr Neubauwohnungen errichtet als die städtischen Wohnungsunternehmen. Und dann werden Flächen in bester Lage nicht für den Neubau genutzt. In Tempelhof gibt es mit dem Tempelhofer Feld die vielleicht größte Brache in Europa, die nicht bebaut werden soll. Darüber muss man doch noch mal reden.

Noch einmal: Was ist mit dem Schutz der Mieter vor Verdrängung?
Für die Kreuzberger oder Neuköllner hat sich ja nicht viel geändert, außer dass die Stadt jetzt Hauptstadt ist. Das heißt: Die Leute verdienen nicht mehr Geld. Und sie haben ihre Miete immer schon nur so
eben zahlen können. Man muss darauf achten, dass ältere Leute nicht raussaniert werden. Das hat die Bundesregierung mit dem neuen Mietrecht richtig gemacht, bei dem die Modernisierungsumlage deutlich verringert wurde. Aber ist es fair, dass alle in der Stadt ein lebenslanges Mietrecht für fünf, sechs oder sieben Euro je Quadratmeter in einem sanierten Altbau haben wollen? Die Menschen habe sich an billige Mieten und Kaufpreise gewöhnt, die unrealistisch waren. Diese Preise können in einer Hauptstadt aber nicht für ewig auf so einem Niveau gehalten werden. Das geht nicht, insbesondere dann nicht, wenn der Senat seinen Wohnungsbestand verkauft und den Neubau boykottiert. Nur zusätzliche Wohnungen können die Spannung aus dem Markt nehmen. Nicht zusätzliche Regulierung.

Das Gespräch führten
Ulrich Paul und Jochen Arntz.


Quelle: Berliner Zeitung (13.05.2019)